Wutanfall wegen Kleinigkeiten und wie Eltern damit umgehen können – Fallbeispiel: Beim Haareflechten rastet die Tochter aus und beschimpft die Mutter

„Wie gehen wir mit den täglichen Wutausbrüchen wegen Kleinigkeiten um? Z. B. die Haarfrisur stimmt nicht. Meistens greift unsere Tochter uns dann auch persönlich an. Ich habe es schon mit Empathie versucht, mit aktivem Zuhören, auch schon mit logischen Konsequenzen. Leider muss ich mich immer noch beschimpfen lassen, dass ich zu blöd sei einen vernünftigen Zopf zu flechten ...“.

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Diese Frage einer Mutter erreichte mich neulich per Email und die Eltern dieses Mädchens sind mit genau dieser Frage nicht alleine. Bei sehr vielen Familien mit AD(H)S-Kindern sind solche Situationen an der Tagesordnung, in denen die Kinder wegen Kleinigkeiten ausrasten oder bocken oder gemein werden.

Der falsche Ansatz: Um jeden Preis den Wutanfall vermeiden wollen

Meistens wird dann enorm viel Energie aufgewendet, zu versuchen, solche Ausraster zu vermeiden. Bewusst und unbewusst drehen sich alle nur noch um die Stimmung von "ihm" oder "ihr" und passen ihr eigenes Verhalten daran an, "ihn" oder "sie" bloß nicht aufzuregen.

Das ist aber der absolut falsche Ansatz und schadet mehr, als dass er nützt.

Denn so vorsichtig kann man als Eltern aber gar nicht sein, das immer zu vermeiden. Und man sollte auch gar nicht immer so vorsichtig sein und darum bemüht sein, Ausraster (bzw. schlechte Stimmung, Frust und Unausgeglichenheit der Kinder) immer zu vermeiden.

Stimmungsschwankungen, Wut, Gereiztheit, Frust – die ganze emotionale Palette - gehören „zum ADHS-Paket“ dazu. Und nicht nur das, es sind ganz natürliche und menschliche Emotionen. Nur eben bei ADHS-Kindern wesentlich häufiger und ausgeprägter.

Zu versuchen, diese emotionalen Wellen und Krisen zu vermeiden, führt nur zu unglaublicher Anstrengung der Eltern und dazu, dass sich alles letztlich nur noch darum dreht „ihn“ oder „sie“ nicht zu verärgern. Alles dreht sich dann nur noch darum, dass der Sohn oder die Tochter bloß nicht schlecht gelaunt wird und bloß nicht ausrastet.

So wird das Kind jedoch leider zum Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit und oft genug wird es dadurch auch zur „Prinzessin auf der Erbse“, d.h. es lernt, dass es mit seinem Verhalten die Eltern (und oft auch die Geschwister) „steuern“ kann – eine ungesunde Position für alle Beteiligten.

Davon abgesehen ist es auch gar nicht zu schaffen, schlechte Stimmung beim Kind immer zu vermeiden.

Der richtige Ansatz: Die ADHS-bedingten Wutanfälle richtig managen

Viel besser ist es, es als zu ADHS dazu gehörig zu akzeptieren und zu lernen, solche Situationen zu managen.

Ja, Sie haben richtig gelesen: ADHS-Kinder sind emotional und reagieren sehr leicht über. Das ist so und wird so bleiben - bis das Kind gelernt hat, sich anders zu regulieren. Das gehört zu Ihrem Familienalltag dazu, auch wenn Sie sich das anders vorgestellt hatten, als Sie Ihr Kind bekommen haben.

Natürlich muss – und sollte - man den Kindern nicht alles durchgehen lassen! Und es gibt auch durchaus Möglichkeiten, Wutanfälle zu verhindern, indem man schon im Vorfeld vieles anders macht (siehe dazu das ebook „Umgang mit Wutanfällen – 5 Strategien für gelassenere Eltern“).

Aber wenn dann der Wutanfall da ist (oder auch ein anderes Problemverhalten, wie z.B. Beleidigungen), dann ist es gut, zu wissen, wie man in der Situation damit umgehen kann.

Wie geht man denn nun damit um, wenn das Kind schreit, wütet, tritt?

Der Versuch eines "Kochrezeptes":

  1. Analysieren Sie die Situation und die Auslöser des Wutanfalls.
    Wie war die Situation? War das Kind müde? Hatte es Hunger? War es heiß, war es spät, war es laut? Gab es vorher Stress? Etc.

    Warum ist das wichtig? Das Kind eben "einfach ADHS", oder nicht? NEIN. ADHS zu haben bedeutet nicht zwangsläufig an allen Ecken und enden ausrasten zu müssen. Denn manchmal gibt es ja auch keine Ausraster, richtig?

    Es ist also wichtig, die Situation, das Kind und sein Verhalten zu verstehen.

  2. Bringen Sie das Kind aus der Spannungssituation und lassen Sie es runterfahren.
    Lassen Sie das Kind nicht weiter im Stress, in der Hitze, in der Lautstärke, im Streit. Bringen Sie es raus. Reden Sie nicht auf das Kind ein, damit gießen Sie Öl ins Feuer und verhindern das Runterfahren! Lassen Sie es in Ruhe. Zur Not bieten Sie ihm Möglichkeiten zum Spannungsabbau an ("sich abreagieren").

  3. Besprechen Sie die Situation lösungsorientiert (!) nach.
    In der Krise NICHT REDEN! Erst danach. Aber nicht nur kritisieren "warum hast du...", sondern nach Lösungen suchen gemeinsam mit dem Kind. "Was kannst du beim nächsten mal tun...", "Was können wir beim nächsten Mal tun..."

  4. Üben Sie.
    Dazu braucht es keine weiteren Worte. Üben. Üben. Üben. Sie und das Kind.

Und was heißt das konkret jetzt?

Diese Frage kann man nicht pauschal beantworten.

"Problemverhalten" sind immer komplex - der Umgang mit jedem "Problemverhalten" braucht ein Gesamtkonzept

Wutanfälle können immer verschiedene Ursachen und Einflussfaktoren haben, d.h. es gibt nicht nur "die eine Ursache" für Wutanfälle und daher gibt es auch nicht "die eine Lösung" oder "den einen Tipp". Und es gibt kein "One-size-fits-all-Kochrezept", das für alle Wutanfälle von allen Kindern gleich wäre.

Es gibt kein "One-size-fits-all-Kochrezept" für den Umgang mit Wutanfällen.

Jedes Problemverhalten hat immer mehrere Komponenten, die zu seiner Entstehung und Aufrechterhaltung beitragen, z.B.

* wie ist das Kind veranlagt
* wie ist die aktuelle Situation, in der das Problemverhalten auftritt (ruhig, strukturiert oder unruhig, unstrukturiert, überfordernd, besteht Zeitdruck, etc.)
* wie ist die Befindlichkeit des Kind momentan
* wie viel Stress und Anspannung gab es vor der Problemsituation
* welche störenden oder ablenkenden Faktoren gibt es zusätzlich
* wie ist die Reaktion der Eltern und Geschwister auf das Kind in der Situation
* wie ist die Stimmung und Kommunikation der Eltern in der Situation
* wie ist die Beziehung zwischen Eltern und Kind generell
* etc.

Wutanfälle (genauso wie jedes andere Problemverhalten bei Kindern) brauchen daher ein erzieherisches Gesamtkonzept. 

Die Ursachen sind unterschiedlich, die Auslöser sind unterschiedlich, die Kinder sind unterschiedlich, die Eltern sind unterschiedlich, die Situationen und Gegebenheiten sind unterschiedlich.

Und letztlich muss man ehrlicherweise auch sagen, dass Wutanfälle nicht zuletzt sehr von den elterlichen Erziehungskompetenzen beeinflusst werden. Je besser die elterlichen Erziehungs-Kompetenzen im gesamten Alltag sind, desto weniger Wutanfälle haben die Kinder.

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Aus diesem Grund – weil die Reduzierung von Problemverhalten immer ein Gesamtkonzept braucht - gibt es meinen Videokurs "ADHS-Eltern-Begleiter", in dem Eltern genau dieses Gesamtkonzept kennenlernen und trainieren.

Je besser die elterlichen ADHS-Erziehungs-Kompetenzen im gesamten Alltag sind, desto weniger Wutanfälle haben die Kinder.

Fallbeispiel konkret und anschaulich - so können Eltern reagieren

Im folgenden Audio hören Sie anhand des zu Beginn genannten Beispiels der Wutanfälle beim Haareflechten, wie Sie als Eltern mit so einer Situation umgehen können.

Ich zeige Ihnen, was Sie alles tun können, um solche Ausraster zu vermeiden und – wenn sie dennoch auftreten – möglichst zu begrenzen.

Dazu wende ich Strategien aus allen sechs Modulen aus meinem Eltern-Video-Training an und Sie hören, wie das ganz konkret aussehen könnte.

Die hier angewendeten Prinzipien sind auf alle möglichen Problemsituationen und Problemvehaltensweisen der ADHS-Kinder übertragbar.

Audio "Wutanfall beim Haareflechten"
(Ausschnitt aus dem ADHS-Eltern-Begleiter)

Wie gefällt Ihnen dieser Beitrag? Welche Tipps haben Sie für andere Eltern?

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Herzliche Grüße
Birgit Boekhoff

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  1. Die Fallkonstellation ist in jeder Familie unterschiedlich, somit auch die Bedürfnisse der Kinder. Die Emotionen des Kindes sollen in einem Wutausfall zum Ausdruck gebracht werden. Das Kind darf sich selber wahrnehmen und spüren. Man darf auch einen Streitanfall auch mal laufen lassen und muss ihn nicht ständig unterbinden. Wenn der Streitanfall aber über einen längeren Zeitrahmen dauert, ist es durchaus angebracht in die Situation einzugreifen.

    Das ADHS Kind muss selber lernen Strategien zu entwickeln, wie es in zunehmenden Alter besser auf Problemstellungen reagieren kann. Dies kann durch die Eltern aber auch durch Psychologen oder Psychologinnen erfolgen. Wichtig ist, dass das Kind einsieht das es an den Wutanfällen arbeiteten tut und das die Eltern ihm nicht böse sind. So können auch Angehörige, andere Kinder mit diesen Situationen besser umgehen und bringen mehr Verständnis auf. Es ist wichtig dass, das Kind zu sich selber ehrlich ist, aber auch eine Problemlösung bereit hat. Ja, ich habe Wutanfälle, aber ich arbeite daran, dass es längerfristig weniger Wutanfälle werden. Eine Problemerkennung entspannt auch das ganze Umfeld und bringt auch das Kind selber wieder schneller in die richtige Bahn.

    Das kann aber erst in zunehmenden Alter entwickelt werden. Dies von einem Kleinkind zu verlangen, wäre unverhältnismässig. Wichtig ist dabei das die Eltern ihr Kind lieben und gerne haben, auch mit den Wutanfällen. Es gibt auch bestimmte Phasen in denen Wutanfälle zunehmen, Pubertät, Mobbing in der Schule, Stress usw.

    In diesen Bereichen können die Eltern eine grosse Hilfe sein. Wenn sie das erkennen und sie entsprechen darauf einstellen.

  2. Die Fallkonstellation ist in jeder Familie unterschiedlich, somit auch die Bedürfnisse der Kinder. Die Emotionen des Kindes können sollen in einem Wutausfall zum Ausdruck gebracht werden. Das kann darf sich selber wahrnehmen und spüren. Man darf auch einen Streitanfall auch mal laufen lassen und muss ihn nicht ständig unterbrechen.

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