Lernen und Hausaufgaben sind für ADHS/ADS-Kinder Schwerstarbeit. Vor allem in der bei uns üblichen Form: am Tisch sitzen und alleine mit Buch und Heft arbeiten.
Hausaufgaben in der üblichen Form erfordern alles, was diese Kinder grundsätzlich nicht gut können: Sitzenbleiben, sich konzentrieren, genau lesen, eigenständig fokussiert nachdenken, planen, dranbleiben, kontrollieren, Genauigkeit, Frust aushalten bei Problemen, Spieldrang unterdrücken, etc. - im Klartext: sich selbst steuern und regulieren.
Was in der Regel dann sehr schnell passiert ist, dass das "Gehirn nicht mitmacht", die neurophysiologische Aktivierung einbricht (= der Dopaminlevel im Frontalhirn sinkt, das Gehirn "fährt herunter"), die Gedanken schweifen ab, es kommt zu motorischer Unruhe / Zappelei oder es werden Löcher in die Luft gestarrt. Oder die Emotionen kochen hoch, es entsteht Widerstand, Frust, Wut.
Alles sehr anstrengend. Für die Eltern.
Aber auch für die Kinder!
Sie fühlen sich selbst in dieser Situation absolut unwohl. Wenn Sie es anders könnten, würden sie sich anders verhalten.
AD(H)S-Kinder brauchen UNTERSTÜTZUNG beim Lernen und Hausaufgaben machen. Denn ihr Gehirn spielt nicht mit, so wie es das bei anderen Kindern "einfach tut".
Was Eltern grundsätzlich wissen und verstehen müssen
Ich höre von Eltern immer wieder: "Wie kann ich meinen Sohn / meine Tochter motivieren, mal selbst mehr für die Schule zu tun, Hausaufgaben zuverlässiger zu machen, eigenständig zu lernen?"
So leid es mir tut, aber die ehrliche Antwort ist: GAR NICHT.
Jedenfalls ist das die Antwort, wenn Sie als Eltern hoffen, Ihr Kind würde eine eigene, innere Motivation dafür entwickeln und sie bräuchten es dann nicht immer wieder so "anschieben".
Halten wir uns noch einmal folgendes vor Augen:
Hausaufgaben machen in unserem heutigen Sinne (= am Tisch sitzen und etwas mit Heft und Buch bearbeiten) passt absolut gar nicht zu ADHS-Gehirnen. Es schließt sich praktisch gegenseitig aus. Vor allem, wenn es eine fremdbestimmte Aufgabe ist (was Hausaufgaben ja nunmal sind).
Von einem ADHS-Gehirn (verzeihen Sie diese Formulierung, aber sie hilft enorm zum Verständnis) zu hoffen, es würde eigenständig, gern, ohne Widerstand und dann auch noch voll konzentriert, ausdauernd und möglichst fehlerfrei Hausaufgaben machen und lernen, das wäre so, als ob man zu Vincent van Gogh oder Michael Jackson sagen würde, er solle doch gerne, freiwillig, ohne Widerstand, konzentriert, ausdauernd und fehlerfrei am Tisch sitzend einen 10 seitigen Aufsatz auf kariertem Papier schreiben (natürlich ohne über die Linien zu scheiben!), bitte mit sauberer Handschrift bis zur letzten Seite. Und das dann eben auch noch täglich.
Das ist es, was Eltern (und übrigens auch Lehrer) verstehen müssen: Gehirne sind unterschiedlich gestrickt. Und Gehirne von AD(H)S-Kindern sind für das alles nicht gemacht, was Hausaufgaben und Lernen beinhalten - in unserer heutigen (Entschuldigung: langweiligen) Form.
Aber die Kinder müssen nunmal Hausaufgaben machen - also wie soll es gehen?!
Ja klar, es gibt auch Wege, wie das (zumindest besser) geht.
Angefangen damit, dass LehrerInnen versuchen, Hausaufgaben ADHS-kompatibel zu gestalten und dann in der Schulstunde ADHS-kompatibel auch den Kindern aufzutragen. Einige engagierte LehrerInnen machen das auch sehr gut, aber viele andere eben leider auch nicht...
Aber zurück zu uns. Lassen Sie uns bei dem bleiben, was Eltern tun können, denn dafür ist dieser Blog hier und auch mein Coaching gedacht: zur Eltern-Beratung.
Das ist es, was Eltern (und übrigens auch Lehrer) verstehen müssen: Gehirne sind unterschiedlich gestrickt. Und Gehirne von AD(H)S-Kindern sind für das alles nicht gemacht, was Hausaufgaben und lernen beinhalten - in unserer heutigen Form.
Liebe Eltern, was Sie tun können, ist folgendes:
- 1Verstehen Sie das AD(H)S-Gehirn Ihres Kindes. Verstehen Sie, warum Hausaufgaben und Lernen soooo mühsam für Ihr Kind sind.
- 2Verstehen Sie, dass es eben NICHT "einfach Hausaufgaben machen" und lernen kann - wie andere Kinder.
- 3Akzeptieren Sie, dass Sie Ihrem Kind hier helfen müssen, ggf. über mehrere Jahre, viel länger, als es bei anderen Kindern der Fall wäre.
- 4Reden Sie mit Ihrem Kind über die Situation und finden Sie gemeinsam Lösungen.
- 5Trauen Sie sich, sich gegenüber den LehrerInnen für Ihr Kind einzusetzen und auch von LehrerInnen-Seite um (mehr) Unterstützung zu bitten.
Und darüber hinaus haben sich folgende ganz praktische Strategien bewährt, dem "AD(H)S-Gehirn zu helfen", ans Lernen und Arbeiten zu kommen:
7+2 Strategien für entspanntere Hausaufgaben - so helfen Eltern dem AD(H)S-Gehirn Ihres Kindes beim Lernen
- 1Die Hausaufgaben immer am gleichen Arbeitsplatz machen.
- 2Die Hausaufgaben immer an der gleichen Stelle im Tagesablauf machen: damit ist nicht unbedingt eine Uhrzeit gemeint, sondern eher so etwas wie "nach der Mittagspause" oder "nach der Spielzeit".
- 3Ablenkungen reduzieren und im besten Falle ganz abstellen: Herumliegendes auf dem Arbeitstisch, Blick aus dem Fenster auf Straße/Spielplatz/etc., Geschwister, die ins Zimmer kommen, laute Geräusche oder Musik im Haus, etc.
- 4Zeitdruck, Hektik und Stress vermeiden: selbstredend, unter Zeitdruck und Stress schaltet das AD(H)S-Gehirn eher ab, als dass es besser arbeiten würde.
- 5Vor den Hausaufgaben aktivieren und zentrieren (= das AD(H)S-Gehirn in den Arbeitsmodus bringen): Hüpfen, Trampolin, Klatschspiele, Jonglieren, Koordinationsspiele, Säckchen werfen, etc.
- 6Hausaufgaben in kleine Arbeitspakete einteilen und kurz erklären lassen.
- 7Zwischen den Arbeitspaketen 5 Minuten Aktivierungs-Pausen.
- 1Ggf. mit dem Hausaufgaben-Punkteplan arbeiten (Näheres siehe hier).
- 2Gar nicht im Sitzen am Tisch arbeiten, sondern andere, kreative und mit Bewegung verknüpfte Möglichkeiten finden, die gleichen Lernziele zu erreichen.
Das sind nur einige Strategien aus einer Palette, die noch viel größer ist. Aber diese Tipps haben bisher zahlreichen Eltern schon erheblich weiter geholfen.
Was funktioniert bei Ihnen? Welche Tipps und Strategien helfen bei Ihnen, Hausaufgaben zu machen? Lassen Sie es mich und die anderen Leser wissen und schreiben Sie uns unten einen Kommentar.
Herzliche Grüße
Birgit Boekhoff
Liebe Frau Boekhoff,
erstmal ein ganz großes Danke für diesen Blog. Bisher spricht alles gelesene aus meiner Seele. Durch die Schwierigkeiten meiner Kinder bei den Hausaufgaben und meiner Suche nach Hilfe, kamen die Diagnosen bei allen drei. Da wir Eltern so unglaublich viele Parallelen zwischen unseren Kinder und uns beim Thema Schule und auch sonst im Verhalten in der Kindheit gesehen haben, haben wir uns an Fachleute für ErwachsenenADHS gewendet. Nach einem ausführlichen Test und Gesprächen hatte sich herausgestellt, dass wir auch betroffen sind. Die ganze Familie :-)
Da ich selbst ja gut weiß, wie wie ein ADHSGehirn funktioniert, bin ich auch selbst auf die von Ihnen genannten HA-Strategien gekommen. Was ich noch ergänzen würde, ist Folgendes: Manche Aufgabenstellungen sind für ADHSGehirne/Autismusgehirne nicht verständlich bzw es fehlt ein sehr konkretisierter Arbeitsauftrag. Oder bei einer Textaufgabe fällt es schwer die wichtigen Angaben herauszufiltern. Wenn ich merke, dass meine Kinder deswegen nicht vorankommen, formuliere ich die Aufgabe ADHS-gerecht um und dann klappt es besser.
Eine weitere Schwierigkeit meiner Kinder ist, dass durch die immer größer werdenden Schulbücher in Richtung A4-Format, die Seiten immer unübersichtlicher werden und sie die Stelle aus den Augen verlieren, an der sie zb beim Lesen einer Aufgabe waren. Ich mache es dann so, dass ich entweder die nicht benötigten Aufgaben abdecke oder die gerade zu bearbeitende Aufgabe auch mal auf ein leeres Blatt Papier abschreibe wärend einer 5 Min Pause.
Liebe Grüße
mit meinem inzwischen erwachsenen Sohn läuft einiges sehr gut: er ist selbständig und hat derzeit auch einen job…
eine übliche Reaktion auf wünsche meinerseits ist:“ JA, mach ich…“
Und dann passiert – Sie kennen das sicher – NICHTS.
Wenn Sie mahnen, heißt es: nerv mich nicht…
Im speziellen geht es darum, dass einige Sachen, die wir loswerden wollen, auf einer online-Plattform angeboten werden sollen. Er macht das für SICH und einen Freund von sich, ABER…
eben…
für mich NICHT.
haben Sie einen Rat?
Liebe Erika, bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich hier auf dem Blog keine Beratung anbiete. Ich kann Ihnen hier leider keinen konkreten Rat geben.
Herzliche Grüße, Birgit Boekhoff
Und wie ist es mit den Studenten, die nur online Uni haben? Und essays schreiben müssen? Kann man da als Mutter unterstützen?
Hallo Anna, das müssten Sie dann Ihren erwachsenen Sohn/Ihre erwachsene Tochter fragen. Die grundsätzlichen Strategien für das ADHS-Gehirn gelten natürlich auch für Erwachsene: Aktivieren, Arbeit in Häppchen runterbrechen, Ablenkungen abstellen, Pausen machen, viel bewegen beim Schreiben, mit anderen zusammen lernen, etc. Aber letztlich gilt auch hier: das ADHS-Gehirn verstehen und kreative Lösungen finden. Sprechen Sie mit Ihrem Kind, wie sie unterstützen können.
Herzliche Grüße, Birgit Boekhoff