"Frau Boekhoff, ich glaube mein Mann/meine Frau, mein erwachsener Sohn/meine erwachsene Tochter hat ADHS...", "Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein(e) erwachsene Enkel(in), mein Freund/meine Freundin, mein Kollege/meine Kollegin ADHS hat..."
Was kann ich tun, um ihm/ihr zu helfen?
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Solche Anfragen erreichen mich immer wieder von Angehörigen, die sich Sorgen machen, die vielleicht auch selbst aufgrund der Beziehung zu dem/der vermutlichen ADHS-Angehörigen unter den Stimmungsschwankungen, Impulsivitäten, Vergesslichkeiten, Unzuverlässigkeiten, Unordnung leiden.
Vielleicht geht es Ihnen ähnlich und Sie stellen sich die gleiche Frage: was können Sie tun, um ihm/ihr das Thema ADHS näher zu bringen und ihn/sie dazu zu bewegen, sich vielleicht Hilfe zu suchen? Oder wie können Sie direkt selbst helfen?
Sich zu sorgen ist ein Zeichen von Wertschätzung - aber man kann nicht immer etwas tun
Ich verstehe diese Fragen und Sorgen, sie sind ganz berechtigt. Immer wieder bekomme ich solche Anfragen, teilweise auch mit der Bitte um ein Beratungsgespräch, um zu besprechen, wie die Angehörigen nun helfen können.
Und ich würde hier auch gerne helfen. Wenn ich helfen könnte.
Doch in so einer Situation kann ich leider nur eine einzige Antwort geben. Diese Antwort wollen die Anfragenden leider meistens nicht hören, es ist aber die einzige, die wirklich funktioniert:
Was Sie nicht tun können
Sie können Ihrem erwachsenen (!) Angehörigen/Freund/Kollegen nur helfen, indem Sie ihm die Verantwortung für sein eigenes Leben überlassen. Ihr Angehöriger/Freund/Kollege ist erwachsen, er ist damit selbst für sich und sein Leben verantwortlich - auch wenn Sie ihm das nicht zutrauen.
Wenn er/sie Hilfe möchte, dann wird er/sie sich Hilfe suchen.
Wenn er/sie sich keine Hilfe sucht, dann deshalb, weil er/sie das (noch) nicht will.
Erwachsene Menschen suchen sich generell erst dann Hilfe und nehmen auch erst dann Hilfe an, wenn SIE SELBST es wollen. Vorher nicht.
Lassen Sie das gerne einen Moment sacken...
Erwachsene Menschen suchen sich generell erst dann Hilfe und nehmen auch erst dann Hilfe an, wenn SIE SELBST es wollen. Vorher nicht.
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Auch, wenn jemand ADHS hat, in einer depressiven Episode steckt, ein Burnout oder Ängste hat, vielleicht sogar Suchtverhalten zeigt - er oder sie kann sich trotzdem Hilfe suchen und Hilfe annehmen.
Es gibt immer einen gesunden Anteil in jedem Menschen (ausser wohl bei wirklichen Psychosen, aber das ist hier bei weitem nicht das Thema), der fähig ist, wirklich nach Hilfe zu suchen und diese anzunehmen.
Wer das nicht tut, der will es nicht. Und dann können Sie und ich gar nichts tun.
Was Sie tun können
Das einzige, was Sie machen können, ist, Ihre eigene Wahrnehmung schildern und Ihrem Angehörigen/Freund/Kollegen ein Feedback geben, wie Sie ihn erleben, dass Sie sich Sorgen machen und gerne helfen würden.
Und Sie können Informationen über Hilfen und Anlaufstellen weitergeben (z.B. die URL meiner Webseite, einen Link zu einer meiner ADHS-Seiten , ein Bericht einer Erwachsenen aus der Innensicht, oder eine andere Anlaufstelle).
Mehr können Sie nicht tun. Alles andere liegt in der Verantwortung des anderen.
Auch wenn es sehr schwer für Sie z.B. als Eltern oder Großeltern oder Freund(in) ist, aber Sie können dann nur noch loslassen und sich auf Ihr eigenes Leben besinnen.
Bieten Sie Hilfe und Unterstützung an, verweisen Sie auf professionelle Helfer, seien Sie da, wenn Ihre Unterstützung angefordert wird.
Wenn Ihre Hilfe nicht angefordert wird, haben Sie keinen Auftrag zu helfen. Und dann haben Sie auch keine Chance zu helfen.
Sie können nur helfen, wenn sich jemand helfen lässt und Hilfe will. Und Sie können schon gar nicht retten.
Vielleicht kommt Ihr Angehöriger/Freund/Kollege zu Ihnen und holt sich Unterstützung oder er holt sich woanders Hilfe - wenn Sie losgelassen haben.
Solange Sie sich Gedanken machen um das Leben des anderen, nehmen Sie ihm seine Verantwortung ab. Er muss sich dann keine eigenen Gedanken machen, sondern ist damit beschäftigt, sich von Ihren Hilfebemühungen abzugrenzen, weil er diese eher als übergriffig empfindet.
... und wenn Ihr Angehöriger/Kollege nichts tut?
Ja, das ist oft schwer. Man liebt/mag diesen Menschen, man mag und schätzt ihn. Man möchte, dass er/sie es leichter und besser hat.
Man möchte es auch selbst leichter und besser mit diesem Menschen haben.
Aber das geht nicht immer. Wir haben darauf keinen Einfluss. Wir haben darüber keine Kontrolle.
Und das dürfen wir auch nicht. Es ist das Leben des/der anderen. Seine/ihre Verantwortung.
Wir können nur unser eigenes Leben und Verhalten beeinflussen.
Wenn Sie selbst zu sehr unter den ADHS-Problemen und den Auswirkungen des ADHS beim anderen leiden, dann können Sie nur das tun:
1. sich selbst mitteilen, ggf. Informationen über ADHS weitergeben.
2. sagen, was Sie sich vom anderen wünschen.
3. es dem anderen überlassen, was er tut.
4. ggf. sich selbst Beratung und Unterstützung holen, um herauszufinden, wie Sie selbst mit der Situation besser umgehen können - oder ob Sie ggf. zu diesem Menschen auf Abstand gehen müssen.
5. loslassen üben.
Ich wünsche Ihnen und dem Menschen, den Sie im Sinn haben, alles Gute!
Herzliche Grüße
Birgit Boekhoff
HINWEIS FÜR BERATUNGSSUCHENDE:
Eine Beratung für Angehörige/Freunde/Kollegen biete ich selbst aus Kapazitätsgründen nicht an.
Wenden Sie sich für eine Beratung am besten an einen systemischen Berater in Ihrer Nähe, um für sich selbst einen Umgang mit der Situation zu finden. Der systemische Ansatz hilft hier meist sehr gut, auch wenn der Berater selbst keine Ahnung von ADHS hat.
Vielen Dank für den Artikel
Sie haben mir einige Unsicherheiten genommen und mich und auch meine Frau darin bestärkt, unseren Sohn (hat wohl ADS) weiterhin jede Unterstützung anzubieten, aber nur auf Anforderung.
F.X.
Lieber Herr Mayer,
es freut mich, dass Ihnen dieser Beitrag weiter geholfen hat. Vielen Dank für Ihre Rückmeldung!
Herzliche Grüße
Birgit Boekhoff
Vielen Dank für ihre Artikel. Sie geben immer eine neue Sichtweise der Dinge und helfen mir.
Ich habe einen 26 jährigen Sohn, der oft nicht versteht wenn Menschen, meistens ich, anders denken als er. Seine mangelnde Impulskontrolle lässt ihn total ausrasten und wütend herum schreien. Ich weiß dann nicht wie ich mich verhalten soll.
Vielleicht könnten Sie einige Tips verraten.
Vielen lieben Dank
Liebe Grüße aus Wien
Jakel
Liebe Frau Jakel,
die Frage ist, wie wollen Sie mit sich umgehen lassen? Wollen Sie es tolerieren, angebrüllt zu werden? Wenn nein, dann machen Sie Ihrem Sohn das deutlich, dass er so nicht mit Ihnen reden soll. Und nächstes Mal, wenn er brüllt, dann gehen Sie aus dem Raum und hören sich das nicht an. Das wird Ihrem Sohn auffallen und vielleicht kann er sein Verhalten daraufhin ändern.
Herzliche Grüße
Birgit Boekhoff