Welches Selbstorganisations-Tools ist das beste für ADHS’ler? Soll ich einen Tempus-Planner kaufen oder doch lieber eine App? Und wenn ja, welche App? Welches Journal? Welches Zeitplanungs-System?
Wie oft schon habe ich von Klienten im Coaching diese Frage gestellt bekommen. Die richtigen Hilfsmittel zu haben, um sich selbst endlich besser organisiert zu bekommen, einen Überblick über Ziele, Projekte und Aufgaben zu haben, die Termine im Blick zu haben – wer wünscht sich das nicht?
More...
Doch gibt es überhaupt „das richtige“?
Leider erlebe ich fast genauso häufig, wie ich obige Frage von Klienten höre, dass unglaublich viel Zeit und Energie darauf verwandt wird, „das richtige“ Tool oder System zu finden. Da werden Apps recherchiert, installiert und ausprobiert, verschiedene Zeitplan-Systeme gekauft und wieder verworfen, Tafeln, Boards, Listen, Maps und alles mögliche gekauft und getestet.
Oft nur, um festzustellen, dass es „das leider auch noch nicht ist“. Dann wird weiter gesucht. Oft eine never ending story.
Und leider liegt hier ganz oft ein fundamentales Missverständnis bzw. eine falsche Hoffnung vor, die einfach gar nicht zum „richtigen“ Ergebnis (also bessere Selbstorganisation und Produktivität) führen kann. Und davor will ich Sie bewahren, bzw. Sie zumindest zur Selbstprüfung anregen.
Wenn Sie auch auf der Suche nach einem für Sie passenden Selbstorganisationstool sind, dann lesen Sie weiter.
Die Frage eines Coaching-Klienten an mich: „wäre dieses Angebot etwas für mich?“
Ein Klient von mir hat mir neulich einen Link zu einer Webseite geschickt und fragte mich, ob das etwas für ihn wäre. Wir sind gerade dabei, ein Ziel-, Zeit- und Aufgabenmanagementsystem für ihn zu entwickeln. Im Zuge der Beschäftigung damit ist er auf Recherche-Streifzüge gegangen und hat diese Seite gefunden (ich muss sagen, dass können ADHS-Menschen oft wirklich viel besser als wir „linear-gestrickten“ ;-) )
Die Webseite und um die Angebote, um die es geht, ist diese hier: https://uk.bestself.co/
Meine Antwort darauf
Hier lesen Sie, was ich ihm auf seine Frage geantwortet habe. Vielleicht beschäftigen Sie sich mit genau der gleichen Frage? Dann könnte diese Antwort wichtig für Sie sein.
„Lieber Herr XXX,
diese Email ist lang, aber sehr wichtig. Bitte nehmen Sie sich die Zeit, sie aufmerksam zu lesen und auch innerlich bei der Sache zu sein (also nicht eben schnell nebenbei).
„We are BestSelf Co, human performance junkies who translate the success, strategies, and habits of high performance into meaningful yet simple tools that will guide you to become your Best Self.“
Ja, ich kann verstehen, dass Sie das anspricht. Wenn man schnell drüber liest, dann bekommt man eine völlig falsche Hoffnung gemacht. Man muss sehr genau wahrnehmen, was hier wirklich steht.
Unterschwellig und beim schnellen Hinschauen verspricht diese Seite etwas, was viele Seiten versprechen, die Tools anbieten: dieses Tool ist die Rettung für deine Probleme. Kaufe dieses Tool und alles wird gut. Dieses Tool ist dein Schlüssel zum Erfolg. Mit diesem Tool wird alles gut, es wird ganz leicht für dich und du hast keine Mühe mehr damit, erfolgreich zu werden (ich übertreibe jetzt).
Ich will ehrlich mit Ihnen sein. Das soll Sie jetzt nicht desillusionieren oder deprimieren, sondern verhindern, dass Sie auf shiny objects hereinfallen.
Es sind nicht die Tools, die das Problem lösen und Sie zum Erfolg führen. Nur, weil jemand ein tolles Selbstorganisationstool hat, heißt das nicht, dass damit irgendein Selbstorganisationsproblem gelöst wäre.
Tools, mit denen man gerne arbeitet und die einen in der Fokussierung und Arbeit unterstützen, sind wichtig, keine Frage.
Aber der Schlüssel zur Veränderung und zum Erfolg liegt nicht in einem Tool.
Der Schlüssel zu nachhaltiger Veränderung liegt in Ihnen selbst.
Denn Tools sind nur so hilfreich, wie man Sie auch nutzt.
Sie haben bereits schon eine ganze Menge an Tools und Strategien zur besseren Selbstorganisation an die Hand bekommen. Aber Sie nutzen sie nicht ausreichend. Weil sie „keine Zeit haben“ oder es „vergessen“. Was wäre mit diesem neuen Tool anders?
Kein Tool kann Ihnen Ihre eigene Arbeit abnehmen.
Es gibt nicht „das richtige Tool“ und dann geht es auf einmal leicht.
Wie viele meiner Klienten suchen jahrelang TO-DO-Listen-Apps, Organizer, Ordnungshelfer, Kalender, etc. Es wird das probiert und dann das probiert. In der Hoffnung, dass es dann endlich mal klappt mit der Organisation und Ordnung.
Und damit wird eine völlig falsche Erwartungshaltung an diese Tools und Hilfsmittel gehängt.
Das sind alles nur Gehhilfen. Wie eine Krücke für ein geborchenes Bein. Die Krücke kann einem das Laufen nicht abnehmen, nur erleichtern.
Diese Seite verspricht aber, dass diese Krücke für Sie läuft. „Kaufen Sie unsere Krücken, dann läuft es sich von alleine“.
Nein. Erfolg und Veränderung kommt nicht durch Tools. Letztlich ist es fast vollkommen egal, welche Hilfsmittel Sie nutzen. Das entscheidende ist, DASS und WIE Sie diese Hilfsmittel nutzen. Darin liegt der Erfolg. Ob Sie jetzt ein Journal von denen kaufen oder ein normales Moleskine ist letztlich egal.
Das, was Ihnen wirklich zu Erfolg und Veränderung verhilft, sind IHRE EIGENEN VERHALTENSGEWOHNHEITEN. Erfolgs-Gewohnheiten oder eben auch Chaos-Gewohnheiten.
Die Arbeit, die eigenen Verhaltensgewohnheiten zu ändern, bleibt bei Ihnen. Das ist Ihre Aufgabe. Egal, mit welchem Tool.
Verstehen Sie mich recht, ich will Ihnen nicht ausreden, sich etwas von dieser oder irgendeiner anderen Seite zu kaufen, ich möchte Ihnen nur einen Gedankenastoß geben, zu prüfen, welche Hoffnungen Sie vielleicht unbewusst an diese Tools hängen.
Ich möchte Ihnen gern ersparen, dass Sie alle möglichen Tools anschauen und ausprobieren, nur um immer wieder festzustellen, dass Sie sie nicht wirklich anwenden oder wieder schleifen lassen.
Ich empfehle Ihnen, den Stellenwert von Tools richtig einzuordnen und sie nicht zu idealisieren und auf einen Sockel zu stellen.
Der Blick sollte auf Sie selbst gerichtet sein. Wie können Sie das, was das Tool Ihnen verspricht, selbst erreichen? Mit den Tools, die Sie vielleicht schon haben?
Selbst wenn Sie irgendein neues Tool haben, anwenden müssen Sie es. Ja, das eine fühlt sich schöner an als das andere. Das eine bietet mehr Vorstrukturierung als das andere. Das war es dann aber auch schon.
Hängen Sie nicht zu große Hoffnungen an das Finden „der richtigen Tools“.
In der Quote oben steht „meaningful yet simple tools that will guide you to become your Best Self.“
Das bedeutet, diese Tools sind Richtschnüre, Orientierungshilfen. Letztlich Gehhilfen. Sie zeigen einem den Weg, bieten Unterstützung.
Sie nehmen einem nicht die eigene Arbeit ab.
Die eigene Arbeit ist: sich regelmäßig Zeit zu nehmen für die Tages- und Wochenplanung. Sich zu überlegen, was einem am wichtigsten ist, welche Ziele und welchen Fokus man haben will. Sich diese Pläne zu notieren. Im Tagesverlauf in den Kalender und auf die geplanten TO-DOs zu schauen. Ja zu sagen, zu dem, was man machen will. Nein zu sagen, zu dem, was man nicht machen sollte. Die Zeit zu managen und einzuhalten.
Das alles sind Ihre Herausforderungen. Ihr Anteil am Erfolg. Ihre Arbeit. Ihre Aufgabe. Die bleiben auch bei Ihnen, wenn Sie das Journal oder irgendetwas anders von dieser Seite kaufen.
Ihre Arbeit ist und bleibt Ihre Arbeit. Die kann Ihnen leider kein Tool der Welt abnehmen.
Also, was verspricht Ihnen diese Seite und was wäre IHR Anteil daran, dieses versprochene Ergebnis zu erreichen? Und wie können Sie das jetzt schon mit den bereits vorhandenen Mitteln umsetzen?“
Und was hat das jetzt mit Ihnen zu tun?
Diese letzte Frage gilt auch für Sie, wenn Sie aktuell ebenfalls mit der Frage beschäftigt sind, welches Tool, System oder welche App denn die richtige für Sie ist.
Wie können Sie das, was Sie bereits haben, nutzen, um organisierter und produktiver zu sein? Welche Erfolgsgewohnheit (einige habe ich oben genannt) können Sie ab heute in Ihren Alltag implementieren, ohne erst tage- und wochenlang mit Tool-Recherche zu verbringen?
Ein paar Tipps für Erfolgsgewohnheiten finden Sie hier:
> Das Zeitmanagement-Tool Nr. 1 für Menschen mit ADHS
> „Wie schaffe ich es, auch mit ADHS pünktlich zu kommen?“ (Leserfrage)
> 2 Tricks, wie Sie Ihre TO-DO-Liste zu 200% übersichtlicher machen
> Erfolgsgeschichte: Bessere Konzentration bei der Arbeit
> Wie Sie trotz ADHS in zwei Schritten dem Aufschieben ein Ende setzen
> Impulsivität bei ADHS – was Sie bisher noch nicht wussten aber wissen sollten
Schreiben Sie mir in den Kommentaren, wie Ihnen dieser Artikel gefallt und was Sie darüber denken.
Herzliche Grüße
Birgit Boekhoff
Sehr geehrte Frau Boekhoff,
was Sie schreiben hat mich Jahrzehnte begleitet. Angefangen von Terminplanern (Filofox etc.) bis zu unterschiedlichsten elektronischen Hilfsmitteln, alles hat nicht funktioniert, gescheitert bin ich letztendlich an mir selbst.
Erst eine App die auch auf dem Smartphone meiner Frau ist und die konsequente Nutzung dieser, funktioniert jetzt seit geraumer Zeit. Und doch ist es nicht die App, sondern nur meine eigene Konsequenz diese zu nutzen, die mir geholfen hat.
Vielen Dank für diesen Artikel und Ihre Seite, diese hat mir in kürzester Zeit schon sehr die Augen geöffnet.
Hallo Lars,
das freut mich, dass meine Seite hilfreich für Sie ist!
Herzliche Grüße, Birgit Boekhoff
Liebe Frau Boekhoff, ihr Artikel hat mir sehr gut gefallen, denn er hat mich im richtigen Moment abgeholt. Seit 2 Wochen arbeite ich mit einem Schüler Stundenplan, eines von versuchten Tools. Die anfängliche Begeisterung mit den 2 ersten super strukturierten Tagen wurde dann auch wieder weniger, ab dem 4. Tag habe ich mich nicht mehr konsequent an den Plan gehalten, der auch zu überfrachtet war, was ich später erkannt habe. Es gibt so viele Tools mit denen man sich helfen kann, sofern sie genutzt werden, es geht aber genauso auch ohne. Für mich geht es darum, einfach in Aktion zu kommen und mich nicht zu verstricken, was mir zur Zeit unglaublich schnell passiert. Durch ihre Tips hier und die kostenfreien Downloads habe sie mir schon sehr geholfen und ich muss sagen, dass ich ihre Arbeit großartig finde. Leider liegt der Schmetterlingsclub nicht im Rahmen meiner Möglichkeit. Machen Sie bitte weiter so, Danke für Ihr Angement.
Hallo Birgit (das ist selten, dass ich eine andere Birgit treffe :-) ),
vielen Dank für das schöne Feedback. Ich habe auf jeden Fall vor, weiterzumachen! :-)
Herzliche Grüße
Birgit Boekhoff